Fachkräftemangel bremst die Energiewende
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Artikelserie Teil 1: Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt

In wenigen Jahren will Deutschland klimaneutral werden. Doch wer soll die Gebäude energetisch sanieren, die notwendigen Wärmepumpen und PV-Anlagen einbauen und installieren? Es werden dringend Spezialisten benötigt. Aber es fehlen Hunderttausende Fachkräfte, sowohl im Fachhandwerk als auch in der geräteherstellenden Industrie. Die HEA stellt das Thema Fachkräftemangel nun in den Mittelpunkt einer Artikelserie. Im zweiten Beitrag wenden wir uns nun dem Aspekt „Generationswechsel“ zu.

Fachkräftemangel bremst die Energiewende

Von Sandra Rauch *

Der Klimaschutz ist beschlossen, doch die Fachkräfte fehlen. Das liegt am demographischen Wandel – und daran, dass viele Jugendliche lieber studieren, als Handwerker zu werden.

Im Herbst, spätestens Ende dieses Jahres müssen sie wieder suchen, davon ist Henrik Rutenbeck, Mitglied der Geschäftsleitung beim Wärme- und Kältespezialisten Glen Dimplex Deutschland, überzeugt: „Momentan haben wir bedingt durch die Lieferkettensituation einen erheblichen Backlog, also viele Aufträge in der Warteschlange. Wenn sich die Lage wieder normalisiert, werden wir mehr Fertigungskapazitäten brauchen – und zusätzliche Mitarbeiter.“ Keine einfache Aufgabe, wie Rutenbeck aus den vergangenen Jahren weiß: „Es wird zunehmend schwieriger qualifizierte Fertigungsmitarbeiter zu bekommen.“ Arbeiter etwa, die Kältekreise löten, Mitarbeiter mit Erfahrung in der Vorfertigung und vor allem Elektriker. Doch auch bei den kaufmännischen Jobs spitze sich die Lage allmählich zu, etwa im Marketing, wo heute moderne Schlüsselqualifikationen nötig sind: „Hier Leute mit Erfahrung in digitalen Aktivitäten zu finden, das ist nicht leicht.“

Fachkräftemangel bremst die Energiewende
Henrik Rutenbeck, Glen Dimplex Deutschland

Allein in der SHK-Branche fehlen 60.000 Monteure

Die Aussichten könnten also schöner sein. Und das in einer Branche, die als Zukunftsmacher gilt. Das Geschäftsmodell von Glen Dimplex gründet sich auf Wärmepumpen und Kälteaggregate, neudeutsch „Chiller“. Zwei Segmente, die bedingt durch die Herausforderungen des Klimawandels und die daran nötige Anpassung in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten die Wirtschaft ankurbeln werden. „Die Märkte werden boomen“, sagt Rutenbeck, „daran lässt die aktuelle politische Weichenstellung keinen Zweifel.“ Doch noch bevor es richtig losgeht, steht die Klimawirtschaft vor einem riesigen Problem: Die Fachkräfte sind knapp oder schlichtweg nicht verfügbar. Um bis 2030 bis zu sechs Millionen Wärmepumpen zu installieren – wie von der Politik gefordert – fehlen laut Zentralverband Sanitär Heizung Klima 60.000 Monteure. Nimmt man die geplante energetische Wohnraumsanierung und strengere Vorgaben bei Neubauten noch dazu ergibt sich im gesamten Baugewerbe eine Lücke von 350.000 Fachkräften, so eine Schätzung von Kunibert Lennerts, Professor für Facility Management an der Universität Karlsruhe.

Besonders gravierend zeigt sich der Mangel in den sogenannten Engpassberufen. „Dreißig Prozent davon sind Tätigkeiten im Gesundheitsbereich, weitere 45 Prozent entfallen auf die Baubranche“, erklärt Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). So fehlen auf dem Bau bei den Gesellen vor allem Kräfte im Bereich von Bauelektrik sowie Sanitär-, Klima- und Heizungstechnik, wie eine Auswertung des „Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung“ (KOFA) zeigt. Auf Ebene der Meister, die zwar seltener gesucht, dafür aber umso schwieriger zu finden seien, sind Hoch- und Tiefbau stark betroffen.

Fachkräftemangel bremst die Energiewende
Friedrich Hubert Esser, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

Mehr Rentner als Berufsanfänger

Die Gründe für diese Lücken liegen zum einen im demographischen Wandel. Während der Anteil der Menschen bis 64 Jahre stagniert, oder bei den Unter–20-Jährigen sogar sinkt, wächst die Zahl der 65-Jährigen und Älteren. Der sogenannte Altenquotient, also die Zahl der Personen im Rentenalter geteilt durch die Menge der Einwohner im Erwerbsalter, steigt laut Datenreport des Statistischen Bundesamtes kontinuierlich, von 16,3 im Jahr 1950 auf zuletzt 36,4 (2019). In den kommenden Jahren wird sich die Lage noch zuspitzen – dann nämlich wenn mit den geburtenstarken Baby Boomer-Jahrgängen mehr Menschen in Ruhestand gehen als auf den Arbeitsmarkt nachrücken.

Studieren ist schicker

Doch Demographie ist nur ein Teil des Problems. „Der zweite Aspekt ist die Attraktivität der Berufe“, sagt BIBB-Präsident Esser. „Wir sind mitten in einem Strukturwandel, hin zur Wissenswirtschaft und -gesellschaft, in der Knowledge-Worker gefragt sind. Das Handwerk oder der klassische Industriefacharbeiter werden aber immer noch mit dem Blaumann verbunden – und der ist nicht die Zukunft.“ Dieses Image sei hartnäckig in den Köpfen verankert, was sich auch an der Beliebtheit der Ausbildungswege zeige. Die Zahl der Ausbildungsverträge sinke seit Jahren, dafür steige die Zahl der Studienanfänger, sagt Esser. „Es gilt als schicker zu studieren, wenn man es kann.“ Und das können immer mehr junge Leute: Mittlerweile gebe es mehr Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung als Hauptschüler, was Esser auch als Indiz dafür sieht, dass sich Bildungsstrategien geändert hätten – und damit auch der Anspruch an das, was man nach der Schule machen will.

Ein typisches Beispiel für die fatale Wirkung von Klischees und veralteten Berufsbildern ist der „Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik“. Der Beruf hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert, wer hier arbeitet kann den Klimaschutz direkt mitgestalten. „Gehen Sie heute mal in einem Neubau in den Heizungskeller“, sagt Esser, „da ist alles smart.“ Die Betriebe seien begehrt und dementsprechend ausgebucht, wer einen Installateur brauche, müsse oft monatelang warten. „Wenn Sie mit Leuten reden, dann wird eigentlich jeder sagen, dass die Handwerksberufe hoch wertgeschätzt sind“, sagt Esser. Aber wenn man dann frage: „Kannst du dir vorstellen, deine Kinder das machen zu lassen?“, stoße man auf Zurückhaltung. Wegen der Vorstellung, dass Handwerk nicht zur Wissensgesellschaft gehöre, aber auch wegen als schlecht eingeschätzter Aufstiegs- oder Verdienstmöglichkeiten. Dazu komme das Kriterium: Wie bin ich in einem Beruf angesehen, welchen Bildungswert hat der in der Gesellschaft? „Das beeinflusst heute die Berufsorientierung in den Familien“, sagt Esser, „und geht zum Nachteil der Berufsausbildung im dualen System.“

Durch die viel zu geringe Zahl der Ausbildungswilligen bringen auch die vielen Initiativen und Kampagnen der Branchenverbände nur mäßigen Erfolg. Zwar ist „Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik“ laut aktuellem Berufe-Ranking des BIBB der drittbeliebteste Ausbildungsberuf junger Männer, trotzdem reichen die Azubis nicht, um die Fachkräftelücke zu schließen. Aktuell sei keine Entwicklung erkennbar, dass es zwischen Ausbildung und Studium wieder zum Ausgleich komme, sagt Esser. „Ich sehe die große Gefahr, dass wir einen erheblichen Fachkräftemangel bekommen in den nächsten Jahren, bei bestimmten Handwerksberufen sogar eine Fachkräftekatastrophe.“

Junge wollen Work-Life-Balance

Wer in den Unternehmen versucht die Katastrophe abzuwenden und sich Fachkräfte zu sichern, muss alte Verfahren oft komplett über Bord werfen. Der Markt ist längst ein Kandidatenmarkt, statt sich aus einer Vielzahl von Bewerbern den besten herauszusuchen, müssen Betriebe heute für sich werben. Und zwar nicht nur mit Verdienst- und Entwicklungschancen. Sondern auch mit Wohlfühlfaktoren und Wertegerüst. „Für die jungen Leute spielt Work-Life-Balance eine ganz andere Rolle als für die ältere Generation“, hat Henrik Rutenbeck beobachtet. „Sich im Job wohlfühlen und Spaß haben, das ist wichtig.“ Auch Nachhaltigkeits- oder soziale Aspekte würden hinterfragt. „In Gesprächen geht es oft darum: Wie nachhaltig ist das Unternehmen, wie positioniert es sich?“, sagt Rutenbeck. Für den Manager eine Steilvorlage, schließlich stelle Glen Dimplex Deutschland Produkte her, die hier einen sehr großen Beitrag leisteten. Auch die Werte des Unternehmens seien wichtige Pluspunkte im Kampf um Talente. „Wenn ich sage, dass wir den Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellen, führt das zu interessanten Nachfragen“, erklärt Rutenbeck. „Was habt ihr da alles im Angebot?“

Fakt ist aber auch: Nicht jeder Job lässt sich mit Familie, der Pflege von Angehörigen oder einfach nur der Yoga-Stunde am Nachmittag vereinbaren – gerade im Top-Management wird Worklife-Balance in vielen Organisationen eher kleingeschrieben. Die Folge: Selbst für bislang heiß begehrte Top-Jobs in großen Konzernen fehlt heute mancherorts der Nachwuchs. Als Lösung versuchen Unternehmen mehr Führungskräfte im eigenen Haus zu entwickeln oder „Diversity“ aktiv zu leben – also etwa Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund gezielt Karrierewege zu ermöglichen. „Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Mitarbeitern aus der sogenannten zweiten Reihe eine Chance zu geben“, sagt Henrik Rutenbeck. Bei Glen Dimplex Deutschland verfahre man nach dem Prinzip „Führen und Fördern“: Wer in eine Führungsposition aufsteigt, bekommt einen Mentor, der dabei hilft in die neue Rolle hineinzuwachsen.

Interesse am Handwerk wecken

Für die mangelnde Attraktivität vieler Ausbildungsberufe gibt es dagegen keine kurzfristige Lösung. Das Problem sitze tiefer, sagt BIBB-Präsident Esser. „Wir müssen an die Wurzeln ran.“ Die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung müsse in die Köpfe rein, an Schulen vermittelt und in Elternhäusern verstanden werden. „Wir müssen zeigen, dass die dualen Ausbildungsberufe Aufstiegs- und Fortbildungsmöglichkeiten bieten und die gleiche Teilhabe an der Wissensgesellschaft ermöglichen wie akademische Bildungswege.“ Dafür müsse zum einen die Politik dem bislang nur lose vereinbarten „Deutschen Qualifikationsrahmen“ einen Rechtsstatus geben, wie das etwa in Österreich und der Schweiz bereits geschehen sei. Zum anderen müssten Schulen viel stärker auf eine Berufsorientierung hinwirken. „Das fängt damit an, dass man bei konkreten Anwendungsbeispielen, etwa im Mathe- oder Physikunterricht, auch mal was aus dem Handwerk nimmt und damit Interesse weckt“, sagt Esser. Eine andere Chance sei Schülerpraktika so zu gestalten, „dass junge Leute sich in den Berufen orientieren können, wo sie tatsächlich Neigungen und Begabungen haben.“ Auch müsse man nicht nur die jungen Leute mitnehmen, sondern vor allem auch die Eltern. „Früher war man im Alter zwischen 18 und 25 Jahren eher in der Opposition“, sagt Esser. „Heute sind die Familienstrukturen so, dass Eltern mit ihren Vorstellungen die Berufsorientierung und Bildungsentscheidungen der Kinder maßgeblich beeinflussen.“

Vielleicht sind es aber auch die Ausbildungsinhalte, die für junge Leute nicht unbedingt nach Zukunft klingen. Hier sollte es zwar eigentlich keine Hürden geben: Laut BIBB sind die Ausbildungsordnungen „so modern, flexibel und technikoffen gestaltet, dass Neuerungen aus der Praxis oder in der Praxis integriert werden können, ohne dass dafür jedes Mal die Ausbildungsordnung geändert werden müsste.“ Doch in der Umsetzung hapert es. „Gerade wenn es um die Digitalisierung geht, wird noch nicht ausreichend genug aus- oder weitergebildet“, sagt Henrik Rutenbeck. Heute reiche es vielleicht noch die Wärmepumpe „nur“ zu installieren, künftig seien aber Mechatroniker gefragt, die Heizsysteme auch an Netzwerke, etwa im Smart Home, anschließen können. Oder im Marketing: „Die Pandemie hat hier viel beschleunigt, wir brauchen Experten, die sich etwa mit Social Selling auskennen“, sagt Rutenbeck. Er sei mit der Industrie- und Handelskammer in Gesprächen gewesen, auch zwecks Angeboten für Mitarbeiter, die sich in Social Media weiterbilden wollten. Sein Fazit: „Die Aus- und Weiterbildungsprogramme sind darauf noch nicht so richtig vorbereitet.“

Sandra Rauch

* Zur Autorin

Sandra Rauch wurde 1977 in Berlin geboren. Sie hat Betriebswirtschaftslehre studiert und eine Ausbildung zur Redakteurin in einem Fachverlag für Wirtschaftsmedien absolviert. Seit 2008 arbeitet sie als freiberufliche Journalistin, Autorin und Texterin für zahlreiche Medien. Ein Themenschwerpunkt sind Betriebsführung, Marketing und Personal. Bild © Foto Brinke

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